Dr. Schiwago in Tecklenburg

Am Freitag den 26.07.2019 durfte ich die Premiere von "Dr. Schiwago" in Tecklenburg besuchen. Geschichtlich war ich relativ wenig vorbereitet, hatte mich nur ein wenig eingelesen. Somit war ich sehr gespannt auf den Abend und auf die andere Seite der russischen Geschichte, nach dem ich mir am Dienstag Anastasia in Stuttgart ansehen durfte.

 

 

Jurij Schiwago (Jan Ammann) verliert durch einen Suizid seinen Vater, wird von seinem Onkel Alexander Gromeko (Kevin Tarte) aufgenommen und beginnt in seiner Jugend Medizin zu studieren. Nach diesem Studium heiratet er die Tochter von Alexander Gromeko, seine Cousine Tonia (Wietske van Tongeren). Auf seiner Hochzeit taucht plötzlich eine junge Frau auf, die den Anwalt seines Vaters, Viktor Komarovskij (Bernhard Bettermann), erschießen will. Jurij begegnet ihr zum ersten Mal und fragt sich von nun an, wer diese Frau war. Die junge Dame ist Lara Guichard (Milica Jovanovic) und heiratet heimlich Pascha Antipov (Dominik Hees). In der Nacht bevor er in die Schlacht ziehen soll, gesteht sie ihm, wie sehr sie unter dem Anwalt Komarovskij leiden musste, da er sie benutzt und gedemütigt hatte. Pascha flieht, Lara folgt ihm, doch trifft nur ein erneutes Mal auf Jurij, der ebenfalls in der Schlacht als Arzt gebraucht wird. Im Lager treffen die Beiden dann ein weiteres Mal aufeinander, da Lara als Schwester gebraucht wird. Als Jurij endlich zu seiner Familie zurückkehren kann, entscheidet er sich mit seiner Familie, zur Sicherheit, in den Ural zu ziehen. Dort hat er endlich Zeit sich seinen Gedichten zu widmen, die der Regierung aber nicht passt. So trifft er zufällig auf Laras Ehemann, der nun als Strelnikow an der Spitze der Bolschewiki regiert. Seine Gedanken kreisen trotzdem ständig um seine Lara, die nicht weit weg in einer kleinen Bibliothek arbeitet, doch diese Liebe birgt nur noch mehr Gefahr. Er wird von Partisanen verschleppt und zwei Jahre lang fern von seiner Familie gehalten. Als er endlich zurückkehrt, erfährt er, dass die beiden Frauen sich ausgesprochen hatten und seine Ehefrau Tonia mit dem gemeinsamen Sohn nach Paris geflüchtet ist. Doch auch seine Liebe zu Lara soll nicht glücklich werden, denn Rechtsanwalt Komarovskij bittet die beiden, mit ihm zu fliehen. Lara geht fort, mit dem Versprechen, Jurij würde folgen. Jurij wird jedoch von Strelnikow aufgesucht und sieht, dass seine Lara nun für immer fort ist. Der einzige Ausweg scheint für ihn der Tod und so beendet er sein Leben. Jurij stirbt etwas später, wird in Moskau bestattet. Dort reisen auch Lara und ihre Tochter hin um Abschied vom geliebten Ehemann und Vater nehmen zu können. Ganz Russland trauert um einen Dichter und einen Arzt, der auch den Armen helfen wollte.

 

Wie für eine Tecklenburger Produktion üblich, war das Bühnenbild auch hier sehr schlicht. Hauptbestandteil war ein in Kreuzförmiges Podest in der Mitte der Bühne. Dazu ein paar verteilte Bäume, die mit weißer Farbe besprüht waren, um den Schnee und die Kälte darzustellen. Der Rest der Bühne war abgehangen mit Vorhängen auf denen ebenfalls Baumstämme zu sehen waren. Dazu wurden dann, um die Szenen zu erschaffen, ein Bücherregal, Möbelstücke oder ein Sarg auf die Bühne gestellt. Aber zugegeben, sich einen russischen Winter vorzustellen, während die Hitze von 40 Grad Celsius in NRW brütet, ist wirklich schwer.

 

Das Kostümbild, entworfen von Karin Alberti, war wie gewohnt sehr stimmig. Keine aufwendigen Roben, nur schlichte Kleidung, gedeckte Farben. Teilweise zerrissen und zerstört. Dazu viele dicke Wollmäntel mit Pelzkragen oder Manschetten (Na, abends in Tecklenburg kann es ja mal frisch werden), bei denen dem Publikum bestimmt eine Schweißperle mit die Stirn runter läuft. Die Kostüme passten aber in die Zeit und spiegelten die Kälte und Armut Russlands, zu dieser Zeit, wieder.

 

Tecklenburg konnte hier wieder mit dem großen Ensemble und Chor punkten, die die Szenen meist noch lebendiger und wirkungsvoller gestaltet haben. Die Choreographien waren sehr stimmig, nur die Szene nach der Pause, als die Damen arbeiteten, schien etwas fehl am Platze. Mich persönlich hat es an die Anfangsszene von "Die Eiskönigin" erinnert, als würden sie Eis hacken. Im Gesamtbild war aber alles gut abgestimmt.

 

Jan Ammann verkörpert hier in Tecklenburg, wie bereits in anderen Städten, den "Jurij Schiwago". Er scheint diese Rolle zu leben und konnte mit seiner kraftvollen Stimme punkten. Die Zerrissenheit war deutlich zu spüren, mit der Ammann im ganzen Stück zu kämpfen hat. Wie gewohnt hat Ammann abgeliefert, was das Publikum von ihm erwartet.

 

Milica Jovanovic spielt die Rolle der "Lara Guichard". Durch ihre sanfte Stimme gab sie der Rolle eine gewisse Verletzbarkeit, die sie aber zu verbergen wusste, wenn sie die starke und selbstbewusste Studentin spielte. Jovanovic besticht durch ihre leichte Stimme und durch ihre Begeisterung, die bis in die aller letzte Reihe zu spüren ist.

 

Tecklenburg gelang es in diesem Jahr, den aus der Fernsehserie "In aller Freundschaft" bekannten, Bernhard Bettermann für die Rolle des "Viktor Komarovskij" zu gewinnen. Ich war sehr auf seine Umsetzung gespannt und wurde definitiv nicht enttäuscht. Bettermann schien stimmlich etwas rau und angeschlagen, meisterte seine gesanglichen Einlagen aber souverän. Schauspielerisch, seine Schiene, aber eine tolle Leistung. Als wäre er für die Rolle des bösen und fiesen Anwalts geboren.

 

Auch Dominik Hees ist in diesem Jahr in beiden Produktionen zu sehen. Während er in "Don Camillo" als lieber Italiener daher kommt, spielt er in "Dr. Schiwago" den zunächst liebevollen "Pascha", der sich im späteren Verlauf zum Fiesling "Strelnikow" entwickelt. Hier scheint er die Möglichkeit zu haben, sich in zwei komplett verschiedenen Rollen ausleben zu können. Beide Teile erfüllt er, aber besonders in seiner Rolle des Bösen Anführer, scheint er aufzugehen. (Dominik Hees wird die Freilichtbühne nach dem 23.08. verlassen. Ab dann übernimmt Fabio Diso seine Rolle.)

 

Wietske van Tongeren verkörpert die Rolle der "Antonia Gromeko", genannt Tonia, und spielte die Frau von "Schiwago". Die Verzweiflung, die sie in dieser Rolle erfährt, wenn sie immer wieder von ihrem Mann verlassen wird, bringt sie sehr gut rüber. Gesanglich ist auch Van Tongeren eine ideale Besetzung, bringt die Emotionen sehr gut rüber.

 

Als "Anna Iwanowna Gromeko" steht Bettina Meske auf der Bühne. Als Mutter von Tonia gibt sie alles, ihre Familie zu schützen und wirkt oftmals als zweite Mutter für ihren Enkel. Gemeinsam mit Kevin Tarte als "Alexander Gromeko" harmoniert sie nicht nur gesanglich sondern auch menschlich. Tarte erfüllt seine Rolle als liebevoller Opa, aber auch die des eiskalten Soldaten, der seine Genossen immer wieder zu mehr Krieg anstiftet.

 

Am Ende kann ich sagen, dass ich doch begeistert bin. Nachdem ich die Seite der Zaren kennen lernen durfte, wird hier die andere Seite der russischen Geschichte wieder gespiegelt. Trotz der sehr düsteren Art, bedrückt es nicht so sehr, wie ich es vermutet hatte. Natürlich gibt es gewisse Längen, die aber gut überbrückt werden können. Ich kann diese Produktion nur empfehlen, wie gewohnt ein hohes Niveau, was die Bühne Tecklenburg hier auf die Beine gestellt hat.

 

Bis zum nächsten Mal,

 

 

Eure Judith